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Die Schweiz - ein Land, in dem man gerne lebt.
Ein Land, in dem eigentlich alles funktioniert.
Prochain arrêt: Lausanne. Bonjour.
Viele Menschen tragen im Hintergrund dazu bei.
Judith Schnider leitet den Volg in Laax,
Yann Giuliani begleitet Zugpassagiere durch die ganze Schweiz,
Yangdol Depön putzt Hotelzimmer in Luzern,
und Sebastiano Gaffuri ist der jüngste Gemeindepräsident im Tessin.
Wie leben diese Menschen,
wofür setzen sie sich ein und was beschäftigt sie?
Vier Menschen und ihr Alltag - ein Tag im Leben der Schweiz.
MIT TELETEXT-UNTERTITELUNG
Bellegarde in Frankreich, 4 Uhr in der Früh.
Yann muss zeitig raus.
Wenn ich aufwache, habe ich oft ein Lied im Kopf.
# Je fais rien que des bêtises, des bêtises quand t'es pas là.
# J'ai tout mangé le chocolat, j'ai tout fumé les Craven A.
Er lebt seit zwei Jahren getrennt und hat einen neunjährigen Sohn.
4.45 Uhr im Bündner Oberland.
Die 52-jährige Judith macht sich bereit.
Ich stehe morgens gerne früh auf. Dann kann ich viel erledigen.
Am Abend bleibe ich gerne auf, aber dann arbeite ich nicht.
Weil ich dann alles liegen lasse,
muss ich es halt jetzt schnell machen.
Yann braucht 40 Min. bis zum Bahnhof Genf.
Wegen seines Sohnes ist er in Frankreich wohnen geblieben.
Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Kind bekommen würde.
Das war nicht mein Plan.
Ich dachte, ich will keine Kinder, komme, was wolle.
Aber dieses Treffen hat alles verändert,
weil sie ein Kind wollte, und ich wollte auch eines mit ihr.
Und der Tag der Geburt - wow!
Ein Kind! Es hat meine ganze Mentalität verändert.
Kurz vor 5 Uhr im Valle di Muggio, ganz im Süden der Schweiz.
Sebastiano ist 28.
Vor wenigen Tagen hat er geheiratet.
Er und seine Frau wohnen über ihrem eigenen Restaurant
in der Gemeinde Breggia.
Ich liebe das Gefühl, alleine unterwegs zu sein.
Yann ist 43 und arbeitet seit acht Jahren bei der SBB.
Sein Stützpunkt ist Genf-Cornavin.
Hier steigen jeden Tag rund 75'000 Passagiere ein und aus.
Als Erstes muss er die ganzen Checks machen.
So tanzen wir am Morgen früh.
# I'm ***, ***, ***, ***.
5.30 Uhr in Breggia.
Sebastiano ist immer der Erste in der Firma.
Seit sechs Jahren leitet er zusammen mit einem Kollegen
einen Forstbetrieb im Tal.
Ich versuche, das Tagesprogramm im Kopf durchzugehen.
Und das ist ziemlich dicht.
Sebastiano ist gleichzeitig seit zwei Jahren
auch noch Gemeindepräsident hier.
Er findet es wichtig, sich politisch zu engagieren.
Die Schweiz ist ein Land
voller Möglichkeiten,
in dem jeder seine Träume und seine Ideale verwirklichen kann.
Es ist ein Land, in dem die Privatinitiative gefördert wird
und sich der Staat um seine Bürger kümmert.
Ich denke, es ist eines der besten Länder der Welt.
In der Nähe von Luzern. Es ist 5.45 Uhr.
Die 26-jährige Tibeterin Yangdol macht sich bereit.
Sie ist vor zehn Jahren in die Schweiz geflüchtet.
Beten gehört zu ihrem täglichen Morgenritual.
Ich fülle die Schalen mit Wasser.
Das heisst, ich biete Gott Wasser an.
Die gläubige Buddhistin ist seit vier Jahren verheiratet
und hat einen zweieinhalbjährigen Sohn.
Sie sind immer noch im Schlafzimmer.
Sie schlafen sicher bis 7 oder sogar bis 8 Uhr.
Ihr Mann hat gerade Ferien.
Seit einem halben Jahr hat Yangdol nun endlich auch einen Job
und verdient erstmals ihr eigenes Geld.
Sechs Jahre lang musste sie auf ihre Anerkennung als Flüchtling warten.
In Zignau im Bündner Oberland macht sich Judith ebenfalls bereit.
Oh, das ist so eng hier.
Sie musste nach der Scheidung ihre vier Kinder alleine durchbringen
und hat erst mit 42 eine Lehre als Verkäuferin begonnen.
Dort drüben, in diesem Laden, habe ich angefangen.
Das war der Anfang meiner Karriere. Und jetzt ist er geschlossen.
Es ist so schade, dass er zu ist. Aber was will man machen?
Das ist so in diesen kleinen Dörfern.
So, dann machen wir uns auf den Weg!
Vor einem Jahr hat Judith in den Volg nach Laax gewechselt
und ist dort jetzt Verkaufsleiterin.
Der Weg ist überhaupt kein Problem. Man ist schnell dort.
Andere müssen 1 Std. oder weiss ich wie lange fahren.
Und dann ist die Fahrt noch so schön.
Die 20-minütige Fahrt ist einer der wenigen Momente am Tag,
in denen Judith Ruhe hat.
Sebastiano ist schon mittendrin.
Er nutzt die Morgenstunden, um Administratives zu erledigen.
Was seine Karriere anbelangt, ist er erstaunlich schnell unterwegs.
Ja, ich war ziemlich schnell.
Ich habe die Gelegenheit ergriffen.
Es war zwar mühsam: Ich habe statt in zwei Jahren
in einem einzigen Jahr alle Prüfungen gemacht.
Es war schon schwierig und ermüdend, aber auch sehr befriedigend.
Nach Abschluss seiner Lehre als Förster in diesem Betrieb
hat er einen zweijährigen Abstecher in die Deutschschweiz gemacht.
Ich muss meinen Eltern danken.
Ich hatte die Lehre fertig, mochte meine Arbeit,
begann, etwas Geld zu verdienen,
und hatte überhaupt keine ***, in die Deutschschweiz zu gehen.
Aber meine Eltern haben mich angespornt,
und ich bin gegangen - zwei Jahre lang.
Wenn ich heute daran denke, war es eine wunderbare Erfahrung.
Kurz vor 7 Uhr geht's dann im Valle di Muggio so richtig los.
Am Morgen, wenn die Arbeiter kommen, geht alles sehr schnell.
Es sind 15 Angestellte, davon vier Lehrlinge.
Damit sind wir der grösste Arbeitgeber im Tal.
Seine Firma macht den grössten Teil der Landschaftspflege hier.
Die Aufgaben sind verteilt.
Zur gleichen Zeit in Luzern.
Ich muss pünktlich sein, pünktlich, aber ich habe noch 6 Min.
Auch Yangdol fängt um 7 Uhr an.
Sie macht ein Praktikum als Zimmermädchen
im Hotel Schweizerhof in Luzern.
Fast 38 Mio. Menschen haben letztes Jahr in Schweizer Hotels übernachtet.
Das ist rekordverdächtig.
Ich mache die Toilette sauber.
Yangdol muss auf der Karriereleiter ganz unten anfangen,
aber das ist ihr egal.
Es gefällt mir. Den Boden zu putzen, ist auch nicht so schwer.
Aber bis jetzt habe ich nur auf der Etage gearbeitet.
Und von hier aus ...
Zimmer sind besser als die Toiletten.
Sie hatte sich auf gut Glück als Zimmermädchen beworben,
nachdem ihr eine Stiftung für junge Mütter diesen Tipp gegeben hatte.
Yangdol will arbeiten und die Chancen,
die sich ihr in der Schweiz bieten, packen.
Im Tibet heiratet man ganz schnell.
Man ist ganz jung.
Früher war man mit 14, 15 schon verheiratet.
Das will ich nicht, sicher nicht.
* Beschwingte Musik *
Rund 9'000 Passagierzüge verkehren pro Tag in der Schweiz.
Über 1 Mio. Menschen benützen täglich den Zug.
Salut. Ca va bien? - Tout va bien.
Yann hat ursprünglich Pöstler gelernt,
aber der Kontakt mit den Menschen und das Reisen macht ihm viel mehr Spass.
Neun Personen, neun Lächeln - das ist cool.
Reisen für die Arbeit ist toll. Überall ist eine andere Atmosphäre.
In Zürich ist die Landschaft anders und das Wetter.
Wenn ich nach Domodossola fahre, ist es fast wie ein Feiertag.
Wir haben eine halbe Stunde Pause und können super italienisch essen.
In Luzern ist die Umgebung wunderschön.
Und immer komme ich zurück nach Genf. Es ist geradezu ideal.
Ich liebe Ansagen.
Auch Laax erwacht.
Judiths Filiale ist einer von 580 Volg-Läden in der Schweiz.
Auf sie und ihre Crew wartet ein 10-Std.-Tag.
Guten Morgen. Die "Bild"-Zeitung?
"Bild"? - "Bild".
Sie sucht sie gerade raus.
Das Brot ist das Wichtigste.
Am Morgen kommen alle
und wollen noch ihr Brötchen oder etwas für die Znüni-Pause.
Du hast die Preise noch nicht angeschrieben?
Dann mache ich das.
Als ich hier angefangen habe,
habe ich in jedem Rayon alles durchgemacht,
damit ich weiss, wie viel Zeit ich brauche.
So kann ich es auch von meinen Mitarbeiterinnen verlangen.
Ich weiss, wovon ich rede.
Und sie sehen auch, dass ich mir nicht zu schade bin,
selber anzupacken.
Darum stehen meine Mitarbeiterinnen
auch hinter mir.
Im Süden der Schweiz regnet es.
Neben der Arbeit im Betrieb und dem politischen Amt
führt Sebastiano seit einem halben Jahr
mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Claudia und einem gemeinsamen Freund
noch das Restaurant Lattecaldo in Breggia.
Als wir das erste Mal ausgingen, hat er gesagt:
"Ich habe nicht viel Zeit."
Und ich: "Okay, mach dir keine Sorgen!"
Man muss schon sagen:
In der Schweiz scheitern 50 % aller Ehen in kurzer Zeit.
Ich denke, was uns vereint,
ist die *** auf die Arbeit, der Unternehmergeist.
Wir ergänzen uns gegenseitig.
Und es ist schon richtig:
Wenn man ein Restaurant unter dem gleichen Dach hat,
ist es schwierig, ein Eheleben und ein Privatleben zu haben.
Es ist auch schwierig, Zeit füreinander zu finden.
Wir nehmen natürlich alle kleinen Alltagsprobleme mit ins Bett.
Sagt es und ist schon wieder weg.
Sebastiano betreut auch noch eine von 340 Wetterstationen in der Schweiz.
Ich mache das nicht, weil ich ein Wetter-Fan bin,
sondern, weil ich es gut finde, dass unser Staat, die Eidgenossenschaft,
die zivile Gesellschaft damit beauftragt.
Ich finde, dass es eine wichtige Aufgabe ist,
jeden Tag den Regen zu messen.
Es hat 1,1 cm pro m2 geregnet.
Jetzt schicke ich ein SMS an MeteoSchweiz.
Und jetzt sollte ich eine Bestätigung bekommen.
* Klingelton* Hier.
Ich bekomme 2 Fr. pro Messung.
Vermutlich die SMS-Kosten.
Und ich darf auch jeden Monat
einen Bericht über die Niederschläge in der ganzen Schweiz anschauen.
Manchmal sage ich aus Spass zu meiner Frau:
"Wir könnten jeden Monat auf dem Sofa sitzen und kontrollieren,
wie viel es in St. Moritz oder im Puschlav geregnet hat."
With that it's better on the last one.
There are lots of places. You have two minutes to go.
Coach ten.
Es ist 8.30 Uhr. Yanns Zug macht Zwischenhalt in Bern.
* Pfiff *
* Beschwingte Musik *
Merci beaucoup.
Guten Morgen. Merci.
Merkt er einen Unterschied
zwischen der welschen und der deutschen Schweiz?
Wenn man über den Röstigraben fährt, sagen die Leute weniger "Guten Tag".
Das fällt mir besonders auf, wenn der Zug nach Luzern fährt.
Aber es ist nicht Verachtung.
Es ist einfach eine andere Mentalität.
Die Menschen sind konzentriert.
In ihren Augen mache ich einfach meinen Job.
Sie erwarten nicht unbedingt, dass ich Hallo sage.
In der Westschweiz ist das anders.
Die Menschen sind ansprechbarer auf ein "Guten Morgen"
und reagieren auch schneller darauf.
Aber, ob man nun auf Französisch oder auf Schweizerdeutsch lächelt,
das ist dasselbe.
Ein Lächeln ist universell.
Im Hotel Schweizerhof in Luzern
gibt's jeden Tag 196 Zimmer zu putzen.
Es ist 9 Uhr.
Heute ist mein Tag. 20!
Manchmal 10 Fr., manchmal 5 Fr.,
aber 20 ist bis jetzt für mich das Höchste.
Andere bekommen manchmal viel mehr.
Manchmal auch 100.
Eine Freundin von mir hat schon 100 Fr. bekommen, 120 eigentlich.
Immer, wenn ich reinkomme, räume ich zuerst den Abfall weg.
Also.
Da muss ich viel aufräumen. Die haben viel getrunken und gegessen.
Was ist das Schlimmste, das sie schon erlebt hat?
Die Leute aus dem arabischen Raum! Oh my gosh!
Überall Kleider, überall Essen!
Oh my gosh!
Da muss ich viel putzen. Es braucht viel Zeit, aber es geht schon.
Oder Chinesen. Die machen auch mehr Dreck als andere.
Aber die Schweizer sind ganz sauber, ganz sauber.
Da müssen wir nicht so viel putzen.
Asien gilt als grösster Wachstumsmarkt
in der Schweizer Hotellerie.
Allein die Chinesen
buchten letztes Jahr mehr als 1,6 Mio. Logiernächte.
Das Tourismusparadies Laax
hat in der Zwischensaison nur gerade 1'725 Einwohner.
Im Volg ist aber immer etwas los.
So.
Sachen herumschleppen müssen wir oft.
Daher ist es ein sehr strenger Beruf.
Guten Tag.
Es ist körperlich sehr anspruchsvoll.
Man denkt immer: "Ja, Verkäuferin - das kann jeder Trottel machen."
Aber man muss viel wissen - v.a. über verschiedene Sachen.
Trotzdem trifft es Judith, wenn sie das zu spüren bekommt.
Ja, das tut schon weh. Man merkt dann halt den fehlenden Respekt.
Aber es gibt schon auch andere.
Es hängt auch sehr davon ab, wie ich reagiere.
Mein Ziel ist es immer, dass der Kunde sich besser fühlt,
wenn er den Laden verlässt.
Du musst der Typ dafür sein.
Da gibt es solche, die sich total nerven
und die genau umgekehrt reagieren.
Sie fangen die negative Energie auf, statt sie ins Positive zu kehren.
Aber das hat sicher sehr viel mit der Erfahrung zu tun.
Das Valle di Muggio ist immer noch wolkenverhangen.
Sebastiano ist unterwegs.
Wenn ich diese Brücke überquere, bin ich nicht mehr zu Hause
oder ich fühle mich nicht mehr zu Hause.
* Lockere Musik *
Im Naturschutzgebiet Colombera müssen wir dafür sorgen,
dass die Böden die richtige Neigung haben,
damit das Wasser richtig abläuft.
Jetzt machen wir zwei Messungen, um zu überprüfen, ob das funktioniert.
Wir haben hier einen Unterschied von 20 cm.
Ein Becken sammelt das Wasser, und das andere lässt es abfliessen.
Trauert er nicht manchmal seinem alten Leben als Förster nach?
Ja, manchmal vermisse ich das Geräusch der Kettensäge.
Ich tobe mich dafür am Wochenende aus so viel ich kann.
Hauptbahnhof Zürich. Es ist 10.15 Uhr.
Guten Morgen, bonjour, buongiorno. Salut, ça va?
Yann und seine Kollegin Véronique haben bereits Mittagspause.
Die SBB beschäftigt rund 27'000 Mitarbeitende in der ganzen Schweiz.
Es hat eine Cafeteria, wo man richtig frühstücken
oder ab 10 Uhr morgens heiss essen kann.
Aber ich hatte genug von Sandwiches
und wollte nicht mehr so viel Geld ausgeben.
Also habe ich begonnen, mir Salate vorzubereiten.
Es ist angenehmer, ich esse ausgeglichener
und v.a. weiss ich, was ich esse.
Eigentlich hat er am liebsten Ruhe in dieser Zeit.
Im Zug bin ich dauernd mit 700-800 Menschen zusammen.
Das ist ein ständiger Lärm. Hier ist es erholsam.
* Schwere Musik *
In Sebastianos Restaurant wird vor dem Mittag seine Hilfe gebraucht.
Mit Essen ist vorläufig nichts.
Ich habe immer davon geträumt, einen öffentlichen Treffpunkt, eine Bar,
eine Taverne oder ein Restaurant zu haben, und wir haben es geschafft.
Morgens kann man Kaffee trinken, mittags den Aperitif,
nachmittags kommen die, die Karten spielen.
Es funktioniert gut, weil wir jung sind.
Sie führen das Lattecaldo zu dritt. Der Koch ist der dritte Teilhaber.
Wenn wir hohe Gewinne erzielen wollten,
hätten wir in Derivate investiert, hätten finanzielle Hebel genutzt.
Das Gastgewerbe ist ein gefährdeter Sektor.
Man muss *** auf Arbeit haben
und darf keine Angst vor der Zukunft haben.
Ciao. Saluti, allora.
Mittagszeit im Bündnerland.
Zeit, um in Ruhe zu essen, das hatte Judith jahrelang nicht.
Als Alleinerziehende in Ausbildung hatte sie nie Pause.
IN der Schweiz leben rund eine halbe Million Eltern getrennt.
In 90 % der Fälle sind die Kinder bei den Müttern.
Ich bin morgens um 4 Uhr aufgestanden, um zu lernen,
damit ich das habe, was ich in der Schule brauche.
Dann bin ich in den Laden gegangen und habe gearbeitet,
habe die Kinder geweckt, zwischen- durch sind sie in die Schule,
und dann am Mittag Mittagessen kochen,
nachher Laden, und am Abend wieder Hausaufgaben
mit den Kindern.
Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei.
Über Mittag bin ich es gewohnt, ein Schläfchen zu machen.
Das muss sein. Ganz automatisch.
So.
12 Uhr ist in der Schweiz Essens- oder wenigstens Pausenzeit.
Yangdol isst mit einer anderen Tibeterin.
32 % der Mitarbeitenden im Hotel Schweizerhof sind Ausländer.
Mach zuerst das Bad!
Im anderen Zimmer mache ich das Bad, du das Bett.
Bis um 14 Uhr müssen alle Zimmer geputzt sein.
Ich bin jetzt eine Praktikantin.
Aber ab diesem Sommer, ab August, beginne ich
mit meiner Lehre als Hotelfachfrau.
Ich freue mich sehr, das ist mein Traumberuf.
Ich habe schon lange darauf gewartet.
Seit ich hierhergekommen bin, wollte ich immer im Hotel arbeiten.
Aber wie konnte ich das schaffen? Das war schwierig.
Viele, die hier in die Schule gehen,
bekommen auch nicht einfach so eine Lehrstelle.
Ich musste ganz viel Gas geben.
Bis ich meine Bewilligung bekommen habe,
habe ich mich so stark auf mein Deutsch konzentriert,
habe versucht, jeden Tag auf YouTube zu lernen.
Ich habe viel auf YouTube gelernt.
Yangdol hat viel vor.
Mein Plan ist, in Zukunft eine bessere Arbeit finden,
einen besseren Lohn zu verdienen.
Das ist mein Ziel.
Und auch eine bessere Zukunft und ein schönes Leben für meine Familie.
Das ist mein Ziel.
Ich bin nicht mehr alleine hier.
Ich habe einen Mann, ich habe meinen Sohn.
Denen muss ich ein besseres Leben geben.
Deshalb möchte ich sehr gerne eine gute Ausbildung machen.
Auf der andern Seite des Gotthards.
Auch Sebastiano will etwas erreichen im Leben
und hat es mit 28 nicht nur zum Gemeindepräsidenten,
sondern auch schon in den Tessiner Kantonsrat geschafft.
Regelmässig muss er darum nach Bellinzona.
Für Politik hat er sich von klein auf interessiert.
Schon sein Vater war in der FDP.
Sein Hauptanliegen ist, dass man im Tessin
wieder mehr Eigeninitiative zeigt und Eigenverantwortung übernimmt.
Wir sind Lateiner und von Natur aus unternehmungslustig.
Aber ein Aspekt, den ich nicht so mag
oder den ich nicht so schätze, ist,
dass wir nicht an unser Potenzial glauben
oder an die Möglichkeiten,
die das Tessin für seine Bevölkerung schaffen könnte.
Oft fühlen wir uns wie der Calimero der Schweiz.
Ein positiverer, ich sage nicht ein aggressiverer,
aber ein stärkerer Ansatz,
unsere Chancen hier vor Ort besser zu nutzen, würde nicht schaden.
Während es in der Schweizer Sonnenstube regnet,
zeigt sich der Norden von seiner besseren Seite.
Nächster Halt Bern.
Als ich jünger war, habe ich oft den Zug genommen,
weil ich keinen Führerschein hatte.
Und wenn ich die Zugkontrolleure gesehen habe,
habe ich sie aussergewöhnlich gefunden.
Sie hatten eine gute Präsenz, sie konnten mehrere Sprachen -
das fand ich grossartig.
Früher, wenn die Kontrolleure reingekommen sind,
hatte ich die Tickets immer bereit.
Yann ist immer noch Feuer und Flamme für seinen Job,
auch wenn der sehr wohl seine Schattenseiten hat.
Der schwierigste Teil sind Personenunfälle.
Wenn der Zug angehalten wird, während die Leiche entfernt wird,
und die Polizei kommt,
dann können wir die Leute nicht aus dem Zug lassen.
Es kann lange dauern.
Es gibt Leute, die ein Flugzeug erwischen müssen,
Leute, die etwas Wichtiges vorhaben.
In dieser Situation muss man sich mit dem Lokomotivführer absprechen.
Man muss schauen, ob die Person noch lebt.
Es ist mir schon passiert,
dass die Person unter dem Zug noch gelebt hat.
Solche Situationen sind psychologisch am schwierigsten.
Es ist 13.30 Uhr.
Der Volg in Laax läuft aussergewöhnlich gut,
obwohl die anderen grossen Läden nur fünf Autominuten entfernt sind.
Was ist Judiths Geheimnis?
Präsenz zeigen.
Ich mache während des Tages
immer wieder Runden durch den Laden.
Dann sehen die Leute, dass ich hier bin und arbeite.
Das ist sehr wichtig.
Die Leute schätzen auch, dass ich sehe, dass sie hier einkaufen.
Ich bin auch sehr dankbar dafür. Das spüren die Leute, denke ich.
Und dann unterstützen sie dich.
Trotzdem - seit 1995 sind in der Schweiz
fast 3'000 Dorfläden verschwunden.
Was ist ein Dorf ohne Laden?
Das ist nicht nur die Sicht als Verkäuferin.
Ich lebe auch in einem Dorf. Ich werde auch mal alt.
Ich will nicht alles per Internet bestellen,
und dann kommt dieses Päckchen, und fertig.
Ich will diesen Kontakt mit den Leuten.
Um 14 Uhr beginnt in Bellinzona die Sitzung des Kantonsparlaments.
Seit drei Jahren ist Sebastiano mit dabei.
Die Männer sind hier mit 75 % immer noch deutlich übervertreten.
Schon der Fakt, dass hier nicht jeder rein darf,
erzeugt bei mir Emotionen.
Ich erinnere mich noch,
als ich im Mai 2015 das erste Mal hier hereinkam.
Und ich empfinde immer noch das Gleiche.
Die Liberalen stellen mit 24 Abgeordneten
die grösste Fraktion im 90-köpfigen Parlament.
Sebastiano ist ein grosser Verfechter des Schweizer Milizsystems.
Heute Morgen war ich in Colombera mit Stiefeln an den Füssen
unterwegs, um Messungen vorzunehmen, und heute Nachmittag bin ich hier,
um das Gesetz über den Grossen Rat zu diskutieren.
Das ist für mich Milizpolitik.
Wenn die Politik von Menschen gemacht wird,
die von hier sind
und die die Probleme der Bevölkerung selbst erleben,
dann können sie ihren Beitrag auf politischer Ebene
für das Gemeinwohl viel besser leisten.
Auch Yann engagiert sich für die Allgemeinheit,
allerdings auf ganz anderer Ebene.
Das tut gut.
Wenn sein Sohn keine Zeit hat, nutzt er den Nachmittag fürs Joggen.
Er trainiert für einen Marathon und sammelt Geld für autistische Kinder.
Ich habe Glück, dass ich in Genf geboren wurde.
Ich bin gesund, ich habe einen Job, ich habe ein fabelhaftes Kind.
Alles läuft gut. Man muss nicht weit gehen.
Nebenan gibt es Menschen, die in Not sind,
die krank sind oder alles verloren haben.
Ich möchte ihnen helfen.
Yangdol wohnt in einem Vorort von Luzern.
Weil ihr Mann Ferien hat,
muss sie ihren Sohn heute nicht von der Krippe abholen.
Das erste Mal habe ich geweint, weil ich ihn so sehr vermisst habe.
Obwohl ich ihn ja am Abend und in der Nacht sehen kann.
Aber ich habe ihn trotzdem vermisst.
Wenn ich mit der Arbeit fertig bin, mache ich ganz schnell,
damit ich möglichst schnell zu Hause bin.
(Kind) Mama! - Hallo.
Hast du auf mich gewartet?
* Sie spricht tibetisch. *
Yangdols Mann ist Koch und ebenfalls als Flüchtling
mit seinen Eltern in die Schweiz gekommen.
Kennengelernt haben sich die beiden 2009 an einem tibetischen Fest.
Londen war sofort fasziniert von Yangdol.
Ich habe versucht, ihre Nummer zu kriegen,
habe einen Kollegen gefragt und dann die Nummer bekommen.
Ich habe mit ihm geschimpft und gefragt: "Warum rufst du mich an?"
Ich hatte solche Angst.
All diese Leute waren fremd für mich.
Ich habe es etwa nach einer Woche wieder versucht.
Dann hat sie es langsam ein bisschen ernst genommen.
Dann haben wir langsam begonnen, am Telefon zu reden.
Fünf Jahre später haben die beiden geheiratet.
Weil Yangdol noch Flüchtlingsstatus hatte,
durfte sie erst nach der Heirat von der Ostschweiz nach Luzern ziehen.
* Sie spricht tibetisch. *
Judiths Zehnstünder ist bald um.
Sie rechnet ab.
Obwohl sie ein Leben lang gearbeitet hat,
hätte sie sich früher eine solche Verantwortung nicht zugetraut.
Heute weiss ich, was ich leisten kann.
Und dann fordere ich auch ein, was ich will.
Aber früher war das nicht so.
Ich habe oft Sachen gemacht, die ich nicht hätte machen müssen.
Für wenig.
Aber ja, so ist es.
Vieles hat ihrer Meinung nach
auch mit dem Rollenbild in der Gesellschaft zu tun.
Männer und Frauen werden nicht gleich behandelt.
Als Mann hast du es oft einfacher.
Frauen machen eher Arbeiten, die Männer nicht machen.
Das sieht man im Verkauf.
Wir haben sehr, sehr viele Frauen im Verkauf - viel mehr als Männer.
Es sind halt nicht so lukrative Jobs.
Und ein Mann ...
Wenn ein Mann etwas sagt, ist es ein Mann, der es gesagt hat.
Eine Frau braucht immer viel mehr Kraft, um sich durchzusetzen.
Yann hat noch etwas vor heute. Er singt schon lange in einer Band.
Die Proben finden in einem Parkhaus in Genf statt.
# Et tout autour de moi
# aucun regard a séché.
# Et tout au fond de moi, je m'oblige a resister,
# de ne pas croire en cette tristesse,
# d'être indifférent.
# Et je crois que j'ai oublié le plus important.
Ich hatte schon schlechte Zeiten.
Mit 18 war ich sehr nervös und hatte mit allen Streit.
Meine Beziehung zu meinen Eltern war sehr kompliziert.
Ich habe mich in der Schule geprügelt.
Die Nacht hat mich sehr inspiriert, ich habe angefangen zu schreiben.
Und das ist mir geblieben.
Ich schreibe noch oft nachts. Das gefällt mir sehr.
# Je n'ai pas pris le temps de pleurer.
# Je n'ai pas pris le temps.
# Je n'ai pas pris le temps de me laisser ...
Eines der Lieder hat er damals für seine kranke Mutter geschrieben.
Ich habe dieses Lied an einem Konzert gespielt.
Das hat mir gut getan.
Und es gab Leute, die am Ende des Konzerts sehr bewegt waren
und zu mir kamen, um mir zu sagen, dass dieses Lied sie sehr anspricht.
Und ich fand das grossartig.
Mit eigenen Worten, eigenen Gefühlen kann man etwas teilen,
mit anderen etwas gemeinsam haben.
Die Freude an der Musik
teilt er aber v.a. auch mit den anderen Bandmitgliedern.
Wir teilen hier etwas Grossartiges.
Mein Leben ist ja immer Teilen. Das ist super.
Singen macht mich leer, aber es erfüllt mich auch mit Emotionen.
Und es bringt mich dazu, weiterzumachen.
# Il n'est pas dans le noir, il n'est pas dans le blanc,
# il est dans les nuages ...
Yangdol sitzt ihre Vergangenheit immer noch in den Knochen.
Sie wurde nach einer Demonstration von der Polizei verfolgt.
Ihre Eltern haben ihr zur Flucht verholfen.
Sie hat sich ganz allein auf den Weg gemacht.
Als ich vom Tibet gekommen bin, habe ich dieses Foto immer dabeigehabt.
Mein Vater hat mir gesagt: "Nimm das mit!"
"Das unterstützt dich unterwegs."
Das ist einfach ein Glauben. Das habe ich immer dabei.
Es war schwierig.
Von Tibet bis Bhutan bin ich zu Fuss gegangen. Es dauerte ca. vier Tage.
Von Bhutan bis Nepal war es nicht so schlimm,
weil es Verkehrsmittel gibt.
Ich war ein paar Monate in Nepal.
Und von dort bis hierher bin ich mit der Hilfe eines Mannes gekommen.
Als ich mit ihm unterwegs war, hatte ich wirklich grosse Angst.
Ich kannte ihn überhaupt nicht.
Und ich sah zum ersten Mal einen Weissen mit blonden Haaren.
Das war komisch für mich.
Aber die Familie hat mir gesagt: "Du musst gehen, du bist illegal hier."
Ich hatte keine andere Wahl.
"Wenn du hier bleibst, kommst du ins Gefängnis."
Das wollte ich nicht.
Dann ging ich also mit diesem Mann mit.
Ich hatte immer Angst. Den ganzen Weg habe ich nur gebetet.
Um 19.30 Uhr in Zignau. Judith hat Feierabend.
Früher war immer viel Betrieb in ihrem Haus.
Jetzt wohnen fünf Katzen und nur noch das jüngste von vier Kindern hier.
Hallo, Cara. - Hallo, Mami.
Sie und ihre Tochter geben sich heute praktisch die Klinke in die Hand.
Auch Judith muss schon bald wieder los.
Sie ist im Dorf als Präsidentin des Samaritervereins sehr engagiert
und hilft auch im Frauenverein mit.
Zudem macht sie Musik. Die Proben beginnen um 20 Uhr.
* Kirchenglockenschläge *
Sebastiano hat es knapp auf die nächste Sitzung
zurück in seine Gemeinde Breggia geschafft.
Gut. Guten Abend alle zusammen.
Wir können unsere übliche Gemeindesitzung beginnen.
Ich möchte Sie höflichst bitten, das Zimmer zu verlassen.
* Kirchenglockenschläge *
Judith hat Musikprobe.
Sie spielt gleich in zwei Dorfmusiken und singt noch im Kirchenchor mit.
Drei Abende pro Woche sind so bereits verbucht.
Viele engagieren sich halt nicht oder wollen nur konsumieren.
Etwas zu machen ist immer schwieriger.
Man kann dann auch etwas falsch machen.
Aber man macht wenigstens etwas.
Das versuche ich ein bisschen vorzuleben.
Vielleicht macht es ja der eine oder andere nach.
In der Dorfmusik Sumvitg Cumpadials machen auch zwei ihrer Söhne mit.
Beni dirigiert, ich geniesse das.
Michi spielt Schlagzeug.
Wir sind so wenige Momente zusammen,
aber diesen Moment haben wir zusammen.
Pause.
In Luzern. Yangdol geniesst mit ihrer kleinen Familie den Feierabend.
Ihr ist es recht, wenn nicht viel läuft.
* Tiergeräusch *
Hauptsache, sie können Zeit miteinander verbringen.
Früher war ich allein und ledig und hatte niemanden hier.
Jetzt habe ich meinen Mann und meinen Sohn,
die mich unterstützen können.
Bis jetzt läuft es sehr gut.
Und in Zukunft möchte ich noch eine Tochter.
Good boy!
# Mini Farb und dini,
# das sind zäme zwe,
# wärets drü, vier, füüf, sächs, sibe,
# wo gern wettet zäme blibe
# gits en Rägeboge, wo sich cha lo gseh,
# gits en Rägeboge, wo sich cha lo gseh.
Gute Nacht. - Tschüss!
Fertig gespielt. Um 20.30 Uhr ist Nachtruhe für die ganze Familie.
Yangdol muss morgen um 5.30 Uhr wieder raus.
Es nachtet ein im Bündnerland.
Bei einem Bier in der Dorfbeiz lässt Judith den Tag ausklingen.
Yann ist ausgepowert, aber zufrieden. Morgen muss er wieder früh raus.
So. Morgen muss ich um 3 Uhr aufstehen.
Dann geht es nach Italien. Schön.
Sogar Sebastiano kommt endlich zur Ruhe.
In seinem Restaurant
hat seine Frau noch etwas zu essen für ihn beiseite gestellt.
Jetzt ist es 0.20 Uhr. Davon habe ich immer geträumt.
Nach Hause kommen, müde von der Arbeit, ohne das Gefühl zu haben,
dass ich nicht alles getan habe, was ich hätte tun können.
Meine Frau im Bett umarmen.
Ich denke, das ist das Beste, was du dir wünschen kannst.
Ein Tag im Leben der Schweiz geht zu Ende.
Ciao, buona notte.
Morgen stehen sie wieder auf.
Und mit ihnen mehr als 8 Mio. andere Menschen in der Schweiz.
Jeder mit seinem Alltag und mit seiner Geschichte.
Nächste Woche: Kurt Fischer fegt Kamine im Mittelland,
Valentina Andrej produziert Biowein im Wallis,
Alex Beauval steuert Dampfschiffe über den Genfersee
und Beryl Jost betreut Kinder in einem Zürcher Hort.